#mediasteak: Die Revolution der Selbstlosen

Ich schlage zwei Fliegen mit einer Klappe und empfehle die arte-Dokumentation Die Revolution der Selbstlosen, die derzeit auf der zu bejubelnden Seite Mediasteak zum streamen bereitsteht. Das ist eine von zwei Berlinerinnen betriebene Seite, die für uns das Mediathekenangebot kuratieren und die Filetstücke herausfiltern. Klasse Ding. Ich bin jüngst zufällig darauf gestoßen, als ich besagte Doku anschauen wollte, sie jedoch bei arte nicht mehr verfügbar schien.

Der Film, den ich wärmstens empfehle, geht der Frage nach, wie wir die in uns allen angelegten positiven Eigenschaften wie Empathie, Hilfsbereitschaft, Gerechtigkeitssinn, Solidarität, Altruismus begünstigen und stärken können. (Das Zauberwort heisst: Achtsamkeit.)

Nach Studien der Universität Yale verfügen Babys bereits in den ersten Lebensmonaten über ein moralisches Urteilsvermögen, eine Art Gerechtigkeitssinn und zeigen spontan altruistische Verhaltensweisen. Angesichts der weltweiten Herausforderungen, die nach radikalen Veränderungen rufen, stellt sich die Frage, ob und wie diese positiven Charaktereigenschaften des Menschen gefördert werden können. Könnte man Selbstlosigkeit womöglich sogar üben? Unermüdlicher Botschafter dieser Überlegung ist der studierte Molekularbiologe Matthieu Ricard. Der buddhistische Mönch studiert mit Hirnforschern die Wirkung von Meditation auf das Gehirn – mit Erfolg. Zahlreiche Experimente zum Geistestraining weisen nach, dass die individuelle Wandlung möglich ist. Meditationsübungen an Schulen in Problemvierteln zeigen bereits überraschende Erfolge im Sozialverhalten und im Kampf gegen Aggressionen.

Interessanterweise ist für mich das Wort „selbstlos“ negativ konnotiert. Es klingt nach Christentum, Moral und Aufopferung. Der Thesaurus liefert mir genehmere Alternativen wie edelmütig, hilfsbereit, solidarisch, uneigennützig, nicht auf den eigenen Vorteil bedacht. All das können wir jedenfalls in rauen Mengen gebrauchen. Daher:

Zur Doku auf Mediasteak bitte hier entlang…

#achtsamkeit: Loslassen und Präsenz

stressful_thoughtDer Frühling zeigt sein scheues Gesicht. Deshalb zwei Inspirationen über Loslassen und Präsenz: Auf der  bezaubernden Seite Pixel Thoughts kann man einen trübsinnigen Gedanken in ein Feld eintragen und diesen dann im Meta des Lebens, des Universums und des ganzen Restes vaporisieren sehen. Simple Idee und hübsche Umsetzung. Funktioniert auch im Büro: das Mini-Ritual dauert nur eine Minute. Als Zweites eine Sutra über Gegenwärtigkeit. Neulich traf ich einen Freund und er erzählt mir, dass er grade einen Text eines alten Zen-Meisters ließt, mit dem er viel anfangen kann. Zen ist ein Bereich, über den ich nicht viel weiß, aber mir gefiel schon immer die Weisheit und Rätselhaftigkeit buddhistischer Sutren; so dass ich es zum Anlass nahm, einmal wieder eine zu lesen. Diese fiel mir in die Hände:

Buddha erzählt in einer Sutra die folgende Parabel:

Ein Mann, der über eine Ebene reiste, stieß auf einen Tiger. Er floh, den Tiger hinter sich. Als er an einen Abgrund kam, suchte er Halt an der Wurzel eines wilden Weinstocks und schwang sich über die Kante. Der Tiger beschnupperte ihn von oben. Zitternd schaute der Mann hinab, wo weit unten ein anderer Tiger darauf wartete, ihn zu fressen. Nur der Wein hielt ihn.
Zwei Mäuse, eine weiße und eine schwarze, machten sich daran, nach und nach die Weinwurzel durchzubeißen. Der Mann sah eine saftige Erdbeere neben sich. Während er sich mit der einen Hand am Wein festhielt, pflückte er mit der anderen die Erdebeere. Wie süß sie schmeckte!

Quelle: Paul Reps (Hg), Ohne Worte – ohne Schweigen. 101 Zen-Geschichten und andere Zen-Texte

#ausstellung: „Licht and Tenebrae“ im HilbertRaum

Noch bis zum 7. Februar läuft eine schöne kleine Ausstellung im HilbertRaum in Neukölln. Sie trägt den etwas sperrigen dreisprachigen Titel „Licht and Tenebrae“, zu sehen sind Fotos und Videos. Eine Fotoinstallation hat mich besonders berührt: „Mami“ von Nat Tafelmacher-Magnat.

Das argentinische Kosewort für Großmutter ist Mami. In einem winzigen Raum sind Fotos zu sehen, die Nats Großmutter in verschiedenen Lebenphasen zeigen. Sie heißt Carmen, wie mir Nat erzählt, und ist 98 Jahre alt. Sie leidet an Alzheimer, so dass die Erinnerung an ihre eigene Vergangenheit schattig ist. Die Fotoquellen bestehen jeweils aus einer Fahrradlampe, einer Lupe und einem Dia; das Bild wird so auf Papierstreifen geworfen, die im Raum hängen. An der Wand, unangestrahlt, hängt zusätzlich ein großes aktuelles Foto von Mami. Diese ist offensichtlich bettlägerig, mit eingefallenem Gesicht, sie wirkt entrückt, man weiß nicht ob sie wach ist oder schläft, ob sie ansprechbar wäre. Ein stilles Leuchten liegt dennoch auf ihrem Gesicht.

Davor baumeln jüngere Versionen von Mami im Raum, als Kind und jüngere und ältere Frau – Bilder, so erzählt Nat auch, auf denen ihr ihre Großmutter fremd war, wie sie sie selbst nicht gekannt oder erlebt hat. Es sind Bilder aus dem Familienfotoalbum wie wir alle sie kennen, und darin liegt auch der Zauber dieser Installation. Mami könnte auch meine Oma sein. Meine eigene Großmutter ist auch über neunzig Jahre alt geworden, auch sie war in ihrem letzten Lebensjahr dement, kurz vor ihrem Tod hat sie mich nicht mehr erkannt.

„Mami“ ist ein einfaches Tableau, das mir etwas über Fragilität erzählt. Ich verstehe es auch als Plädoyer, den Augenblick zu ehren. Denn wer weiß, was bleibt.

#netzlese: Einsamkeit

Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit einem Bekannten, welches immer noch nachhallt. Er sprach über seine bodenlose Einsamkeit, die ihn schier verzweifeln lässt. Er ist in gewissem Sinne ein Präzedenzfall für das heutige urbane Leben: er hat knapp Tausend Facebook-Freunde, bewegt sich in großen Cliquen durch das Berliner Nachtleben und hat keinerlei Probleme, Sexualpartner*innen zu finden. Und dennoch fühlt er sich einsam weil unverbunden. Es geht also um das Phänomen, sich in Gesellschaft einsam zu fühlen.

Das kenne ich auch. Die letzte Situation, die sich mir eingeprägt hat war ein Abend bei einer guten Freundin, wo wir mit ca. acht Leuten auf Sofas saßen, Wein tranken und Snacks aßen, Musik hörten und uns unterhielten, eigentlich beste Voraussetzungen für eine schöne gemeinsame Zeit. Die Konversation bestand aber fast ausschließlich aus „ironischem Kommentieren“ – „#netzlese: Einsamkeit“ weiterlesen

#lament: Einstürzende Neubauten im Radialsystem, doch noch ein Review

Sonntag, 27. Dezember 2015. Feierliche Stimmung im Radialsystem. LAMENT. Es ist mein erstes Mal Neubauten live, ich bin gespannt. (Am Ende war ich so buchstäblich beeindruckt, dass ich das Erlebte erstmal sackenlassen musste. Deshalb erst jetzt.) Ich dachte, es handele sich um eine Werkschau der Neubauten. Tatsächlich aber ist LAMENT eine Auftrags-Live-Performance-Arbeit für die Region Flandern anlässlich des Gedenkens an den ersten Weltkrieg. Die Uraufführung fand im Rahmen der 100-Jahre-Gedenkfeierlichkeiten in der belgischen Stadt Diksmuide statt. Zwar gibt es das Album LAMENT, von der Intention her ist es jedoch eine Schöpfung für die Bühne. Das Bemerkenswerte an der Performance ist: keine Didaktik sondern sinnliche Erfahrung. Die vier aufeinanderfolgenden LAMENT-Abende im Radialsystem passten im übrigen perfekt zu Weihnachten und zur Tagespolitik. Es ist Krieg und Nachkrieg, in den Familien und in der Welt. Ich greife drei Stücke exemplarisch heraus:

© Mote Sinabel/BMG, click to view source

Das obige Bild zeigt den berührendsten Moment des Abends: „#lament: Einstürzende Neubauten im Radialsystem, doch noch ein Review“ weiterlesen

#sundaymusing: Ü B E R D I E L I E B E

Die folgenden Zeilen über die Liebe habe ich mir kürzlich notiert weil ich fand, dass sie stimmen, leider ohne Quelle. Die Originalformulierung war blumiger, ich habe sie zum Schlichteren hin verkürzt. Vermutlich stammen sie aus einem der vielen Newsletter, die ich abonniere, wenn ich mal wieder denke, ich bekomme zu wenig Newsletter (WTF?!). Ich markiere sie hier jedenfalls als Zitat:

„Love is not what you want. It is what you are.
It’s important to not get these two confused.

If you think that love is what you want, you will go searching for it.
If you think love is what you are, you will go sharing it.

Yet you cannot give love in order to get it. Doing that is as much as saying you do not now have it. And that statement will then be your reality. You may give love because you have it to give. In this will you experience your own possession of it.“

Ich bin durchaus offen für erbauliche Gedanken aus den Untiefen der Weltkulturgeschichte. Ich finde es großartig, wie Maria Popova -in ihren eigenen Worten „interestingness-hunter-gatherer“ – das auf Brainpickings umsetzt. Ihr Newsletter kommt immer wieder sonntags, und ist für mich the gentlest of all reminders, die Seite zu besuchen (seit Kurzem auch mobiloptimiert). Manchmal reicht es schon, den Betreff zu lesen, um ein Micro-Uplifting zu erfahren. ♥ „#sundaymusing: Ü B E R D I E L I E B E“ weiterlesen

#netzlese: Was motiviert junge Menschen, sich dem IS anzuschließen?

Meine heutige Netzlese zum Thema IS und Motivation. Mich treibt die Frage um, was Menschen motiviert, sich dem IS anzuschließen – eingedenk der Tatsache, dass mein Wissen über Islam und IS begrenzt ist. Meine Frage ist eher psychologischer Natur und bezieht sich konkret auf die Tatsache, dass Menschen bereit sind, als Selbstmordattentäter zu fungieren. Ich habe vier lesenswerte Artikel zum Thema gefunden, die alle ähnliche Gründe aufführen: (lack of) identity/belonging, faith, curiosity, thirst for adventure, freedom, relative deprivation, anger, pain, numbness, hope for salvation, need to escape. In Schlagworten klingt das einfach, aber vor allem der erste Artikel nähert sich der Frage auf empathische Weise und ich konnte etwas damit anfangen.

  1. Why Do Young People Join ISIS? by The Institute of Middle East Studies.
  2. What Motivates Terrorists? by The Atlantic.
  3. You Can’t Understand Why People Join ISIS Without Understanding Relative Deprivation by Huffington Post.
  4. Why do young women want to join Islamic State? by The Guardian.

#more energy: Elizabeth Gilbert on toxic habits

Ich teile einen längeren Text von Elizabeth Gilbert. Sie ist die, die „Eat, Pray, Love“ geschrieben hat, ein Buch, das ich richtig kacke fand – obwohl ich es im Urlaub am Strand gelesen habe. Aber es war immens erfolgreich und wurde starbesetzt verfilmt. Es geht um den Selbstfindungstrip einer weißen priviligierten Frau, nämlich Elizabeth selbst, nach ihrer Scheidung. Sie durchläuft dabei die im Buchtitel erwähnten Stationen in Italien, Indien, Indonesien (wo auch sonst?) und erlebt unterwegs die offensichtlichen Abenteuer. Way. Too. Fucking. Obvious. Nach dem Buch war ich fertig mit Elizabeth Gilbert.

#thedrink: „FRENCH 75“ (as seen in American Horror Story: Coven)

In der vorvorletzten Episode von American Horror Story 3, „Protect the Coven“, trinken die beiden ikonischen Oberhexen-Protagonistinnen einen extravagant anmutenden Drink: einen French 75. Ich war sofort elektrisiert. Was ist das? mixology schreibt:

Manch einen Cocktail unterschätzt man… in seiner Wirkung. Der French 75 ein solcher Kandidat. Dabei ist die Mischung aus Gin und Champagner, in diesem 1915 in der Pariser „Harry’s New York Bar“ entstanden Cocktail, zur Sensation prädestiniert. Benannt nach einer französischen Kanone, deren Durchschlagskraft während des Ersten Weltkrieges nicht nur berühmt, sondern auch berüchtigt war, hat dieser champagnerbasierte Cocktail eine ebenfalls nicht zu unterschätzende Durchschlagskraft. Grund dafür ist der Gin, welcher sich vortrefflich hinter der prickelnden Leichtigkeit des Champagners zu verstecken weiß.

(Auffällig: Die Kriegsvokabeln tänzeln hier merkwürdig leichtfüßig im Text. Das stört mich, zugleich hab ich dieses Zitat zur Cocktailbeschreibung bewusst gewählt, weil es zum einen der oberste Treffer ist, wenn man bei der Chefsuchmaschine „French 75 Rezept“ eingibt, und zum anderen, weil mixology eine Berliner Pflanze ist – support ur local dealers.)

Ein Gin-Champagner-Cocktail also. Die Vermutung liegt nahe, dass obige Damen den Drink mit Cognac statt mit Gin zubereitet trinken, denn ‚American Horror Story: Coven‘ spielt in New Orleans, wo dieser Cocktail Tradition hat und wo er klassischerweise mit Cognac bereitet wird. Eine weitere Variation läuft unter dem Namen „French 76“ und hier ist Vodka die Zentralzutat. Mir gefällt es auf den ersten Blick mit Gin am besten. Ich hoffe, es ergibt sich bald eine Gelegenheit zum probieren.

Zutaten, Darreichung & Zubereitung – frei adaptiert nach: “Savoy Cocktail Book”, Harry Craddock, 1930

  • 3 cl Gin
  • 1,5 cl Zitronensaft
  • 1 cl Zuckersirup
  • Champagner
  • Zubereitung: Gin, Zitronensaft & Zuckersirup in den Shaker geben, mit Eiswürfeln füllen und schütteln. Dann in ein vorgekühltes langstieliges Glas abseihen, mit Champagner auffüllen und garnieren.
  • Garnitur: Cocktailkirsche (meines Erachtens sieht es mondäner aus mit einem langen geschlängelt-geschnittenen Streifen Zitronenzeste)

P.S.

Ich verlinke an dieser Stelle einen lesenswerten Text über Rassismus und Sexismus in  ‚American Horror Story: Coven‘. Denn drei schillernde großartige ältere Frauen in den Hauptrollen, siehe Bild, und die überwiegende Abwesenheit und/oder Bedeutungslosigkeit von Männern in dieser Staffel zaubern uns noch keinen insgesamt validen Frauenpowerflow auf den Tiiwiischkriin.

P.P.S. Ich ärgere mich unter dem Stichwort „Serien mit starke Frauen, die grundlos schwach gehen müssen“ immer noch über den himmelschreiend un(glaub)würdigen Abgang der furiosen Deborah im Finale von ‚Dexter‘. Aber das ist einen eigenen Eintrag wert, der vielleicht an anderer Stelle erfolgt.

#musings: Nachhallende Formulierung

Kürzlich habe ich mich mit einer Frau unterhalten und fragte sie, wie sie und ihr Mann sich kennengelernt haben. Die beiden bilden ein im positiven Sinne erstaunliches Paar, auch wenn ich kaum benennen kann, worin diese Erstaunlichkeit besteht. Beide stammen aus unterschiedlichen Ländern und begegneten sich in einem weiteren dritten Land. Sie antwortete, dass sie ihn durch Zufall über den erweiterten Kollegenkreis kennenlernte, er war damals nur wenige Tage in der Stadt, in der sie lebte. „Luckily, we managed to recognise each other that day“, sagte sie. Dieser Satz blieb mir im Kopf. Ich finde ihn schön, poetisch, aber auch treffend für die Begegnung mit dem Menschen, den man zu einem späteren Zeitpunkt liebt. Ein erstes Erkennen, Wiedererkennen vielleicht sogar; ein Sog zum anderen, den man schon spüren kann, ohne die Person zu kennen. Collins Dictionary gibt folgende Definition zu „recognise“: to perceive (a person, creature, or thing) to be the same as or belong to the same class as something previously seen or known; know again.